Die literarischen Ritter-Figuren der tavelrunde hatten es kulinarisch nicht leicht. Auf der Suche nach dem Gral ritten sie manchmal jahrelang durch die Wildnis. Wer dabei (wie etwa Parzival im gleichnamigen Werk Wolframs von Eschenbach) nur auf belagerte Burgen ohne Vorräte stieß oder auf Einsiedler, die sich von Wurzeln und Gottes Gnaden ernährten, musste mit knurrendem Magen das Schwert schwingen.
In unseren modernen Zeiten werden solche Fastentage, genau wie Veggie-Days und Detox, als wichtig und gesund gepriesen. Doch was verstand man eigentlich im Mittelalter unter “gesunder Ernährung”?

In den Kochrezeptsammlungen der “Münchener Handschriften” aus dem 15. Jahrhundert fanden wir ein Rezept, das auf den ersten Blick Aufschluss über dieses Thema zu geben scheint - wenn auch mit überraschend gehaltvollem Ergebnis. Man achte auf den Schlusssatz:

 

“Czu krumen krapffen als rosysen solt du riben guten käss vnd nyem halb als vil mell vnd schlach ayer darvnder, das es sich dester baß wellen laus vnd bewurtz es gnug vnd will es vff ainem brett, das es werd als wurst. daruss mach denn krum krapffen als roßysen, die werdent gar gut vnd sind vast gesvnd vnd sol sy bachen in schmaltz.”

(Frei übersetzt: Für Krapfen, krumm wie Hufeisen, sollst du guten Käse reiben. Nimm halb so viel Mehl wie Käse dazu und gib Eier darunter, damit sich die Masse besser ausrollen lässt. Würze sie gut und rolle sie auf einem Brett zu einer Wurst aus. Daraus machst du dann Krapfen, krumm wie Hufeisen. Die sind richtig gut und seeehr gesund - man soll sie in Schmalz ausbacken.)

 

Schon im Mittelalter kannte man den “Armen Ritter” - und damit ist nicht der ungeliebte Cousin des Königs gemeint, der seine Burg beim Würfelspiel verloren hat und die eisernen Hosen beim Besuch im Freuden-, ähm, Wirtshaus... Nein, wir reden von einer schlichten Brotscheibe, die in ein Gemisch aus Milch und Eiern getunkt und dann gebraten wird. Schon im “Buoch von guoter spîse”, einer Rezeptsammlung aus dem 14. Jahrhundert, ist von diesem Gericht die Rede. Dort heißt es:
[S]nit denne aht snitten arme ritter und backe die in smalze niht zu trüge” (frei übersetzt: “Für ein leichtes Frühstück schneiden Sie acht Brotscheiben zurecht und backen Sie sie in literweise Schmalz aus”).

In der mittelalterlichen Literatur brutzelt Ähnliches in der Pfanne. Im “Meier Helmbrecht”, einer Raubritter-Räuberpistole, streiten sich Helmbrecht senior, ein rechtschaffener Bauer, und sein Sohn, Helmbrecht junior. Der Junior möchte lieber Wein und Brathühner schmausen, als sein Leben lang ärmliche Bauernspeise zu verzehren. Daraufhin mahnt Senior zur Bescheidenheit:
[D]a ze Ôsterrîche clamirre, / ist ez jener, ist ez dirre, / der tumbe und der wîse / habent ez dâ für herren spîse. / die solt du ezzen, liebez kint [...]” (frei übersetzt: “In Österreich hält jeder, ob Dumm- oder Schlaukopf, sein Klamirre für einen Gaumenschmaus. Das solltest du essen, liebes Kind!”).
Ein Blick in das “Mittelhochdeutsche Handwörterbuch” von Matthias Lexer verrät: Bei clamirre handelt es sich um eine gebratene Klemmschnitte, d.h. um zwei Brotscheiben, zwischen die man etwas einklemmt. Laut Rezept entweder zerkochte Pflaumen oder - Kalbshirn.

Die wagemutigen tavelrundaere haben sich an einer edleren Variante der Pflaumen-Version probiert. Lasst euch gesagt sein: Das Ganze geriet äußerst smackelich. Nachbraten ausdrücklich empfohlen!

Im Mittelalter küsste man gerne süeze vrouwen, schmachtete beim sange süeze und hovebære, wenn die Angebetete die Gunst verweigerte -  und naschte gern von süezen spîsen. Natürlich keine unserer modernen Liebeskummer-Klassiker im engeren Sinne. Schokolade beispielsweise war in europäischen Gefilden zu dieser Zeit noch nicht bekannt. Eis dagegen - echtes Gletschereis, beträufelt mit Honig und garniert mit frischen Früchten - liebten schon Kaiser Nero in der Antike und später auch die Medicis.

Rezepte für süßes Backwerk wie die Krapfen, die in unserem Video brutzeln, finden sich in verschiedenen überlieferten Rezeptsammlungen. Die “Münchener Kochbuchhandschriften” etwa verzeichnen sowohl krapffen mit beren fül als auch Rezepte für Fettgebackenes, das zur Fastenzeit auf den Tisch kam.
Fettgebackenes zur Fastenzeit? Ein ziemlicher Widerspruch, werden viele Leser und Leserinnen ausrufen (während die Diätierenden vermutlich gerade der Zuckerschock trifft). Doch die christlichen Speisegebote betrafen vor allem den Genuss von Fleisch. Um sich den Verzicht zu versüßen und die Gäste an der Tafel zu schockieren, schufen die Köche sogenannte Scheingerichte: Fleischpasteten oder Würste, die sich bei näherer Betrachtung als Früchtekuchen oder mit Nüssen und Datteln gefüllte Krapfen entpuppten.

Die Vorliebe der Menschen für Naschwerk spiegelt sich auch in der mittelalterlichen Literatur wider. In Wolframs “Parzival” müssen die Bewohner der belagerten Stadt Pelrapeire hungern; es gibt weder kæse, vleisch noch prôt, geschweige denn, dass kraphen in der Pfanne zischen. Und in einigen Fassungen des “Nibelungenliedes” (Handschrift C) verspricht Küchenmeister Rumolt Hagen, Gunther und den anderen Burgunden leckere sniten in öl gebrouwen, wenn sie die gefährliche Reise ins Land der Hunnen nicht antreten und stattdessen zu Hause bleiben. Hätten sie mal auf ihn gehört...

 

Ihr glaubt, mittelalterlich zu kochen sei ein Spaziergang? Heiter und unbeschwert, mit Seidenkissen unterm zarten Maiengrün?
Wir möchten Euch natürlich davon überzeugen, dass spîse und tranc von anno dazumal auch heute noch ein schmackhaftes Mahl abgeben. Doch bei manchen Rezepten stoßen selbst wir an unsere Grenzen. Vor allem, wenn ein Gericht - wie das im heutigen Video - optisch eher an harnaschrâm (Rüstungsschmier) erinnert.

Konsultiert man mittelalterliche Rezeptsammlungen, wird deutlich, dass mitunter Zutaten ihren Weg in den Kochtopf fanden, deren Verzehr wir heute als ungewöhnlich oder vielleicht sogar als unangenehm empfinden würden. Beispielsweise gehackte Kalbslunge, die, mit Minze gewürzt, gebacken wurde. Oder der Kopf eines Bären: Um diesen für die Tafeln der Adligen zuzubereiten, sollte man ihn auf einem Rost gut durchbraten und gar wol mit gewurtz bestreuen.
Ein besondere Gaumenfreude gab es den Quellen zufolge für das weibliche Geschlecht: Wollte man ain frowen essen machen, bereitete man eine kräftige Brühe mit Ingwer und Safran zu - und schnitt gerösteten Kuheuter hinein.

In Heinrich Wittenwilers “Ring”, einer literarischen Kuriosität des Spätmittelalters, wirken weniger die Speisen als vielmehr die Speisenden ziemlich unästhetisch. Auf der Hochzeit von Bertschi Triefnas und Mätzli Rührenschwanz stürzen sich Fresser und Säufer auf das bereitgestellte Mahl wie die Säue auf den Trog; sie verspeisen ganze Käselaibe sampt den rinden, schöpfen das fette chraut mit bloßen Händen aus den Schüsseln und husten, was ihnen im Halse steckenbleibt, aufs Tischtuch. Damit parodiert die schwankähnliche Episode das gute Benehmen, das von mittelalterlichen Tischzuchten empfohlen wird.

Apropos gutes Benehmen: Ist Euch eigentlich die Märe vom ritter mit der halben birn bekannt, in der Ritter Arnold seiner Tischdame gegenüber einen unverzeihlichen Fehler begeht und dafür Hohn und Spott erntet? Nein? Na, dann aber schnell an die Bücher!

 

Kulinarisches im Hochmittelalter unterteilt man heute in zwei Kategorien: An den Tafeln des Adels und des hohen Klerus kredenzte man sogenannte Herrenspeise. Diese Gerichte wurden gerne mit Gewürzen aus dem fernen Orient gewürzt oder enthielten andere kostspielige Gaumenfreuden. Einfache gîselitze (Grütze) und Kohlsuppe, mit denen sich das einfache Volk nach der Arbeit stärkte, zählen zur Bauernspeise.

Das deftige Schmorgericht für hartgesottene vrouwen und zarte ritter (oder über Kreuz?), das in unserem Video zubereitet wird, gehört zur Kategorie der vil smackelichen Herrenspeisen. Salz, Pfeffer, Zimt und auch Wein waren für Bauern zu dieser Zeit so gut wie völlig unerschwinglich. (Schweine-)Fleisch aß das gemeine Volk dagegen ab und zu - auch in der Literatur: In der Versnovelle “Helmbrecht” (einer Räubergeschichte, so brutal, dass es nicht nur die weibliche Hauptfigur in der hiute grûset...) wird beispielsweise erwähnt, dass der Bauer seinem heimkehrenden Sohn zu Ehren nicht nur krût, also Kohl, sondern auch ein guot vleisch auftischen lässt. 

Das Jagdrecht und der Verzehr von Wildbret oder selbst gefangenem Fisch allerdings war ein Privileg der Herrschenden. Bei Hofe genoss man Hühnchen, echte Bärentatzen oder kredenzte gebratenen Aal in Soße… Das mittelhochdeutsche Wort salze für “Soße” mag modernen Feinschmecker/innen übrigens etwas komisch vorkommen (immerhin ist ja nicht alles Salz, was auf dem Braten glänzt), erinnert aber in seiner alternativen Schreibweise, salse, schon wieder stark an die rote Tunke, in der man heutzutage die Nachos versenkt.

Allen, die sich beim Anschauen des Videos über die wenigen Mengenangaben oder die nicht gerade konkrete Garzeit wundern, sei gesagt: Willkommen im Mittelalter! Fast alle Rezepte, die aus dieser Epoche überliefert wurden, kommen ohne genaue Zahlen daher. Daher ist nicht nur beim Verköstigen, sondern auch beim Nachkochen euer gutes Bauchgefühl gefragt.