Achja, die schöne Weihnachtszeit. Ein Hauch Besinnlichkeit liegt in der Luft, mit Spezerei- und Amberduft, der aus tiefen Wunden strömt, in denen Liebeslanzen stecken... Moment mal, was?!
Verzeihung, da haben wir uns vor lauter Heiligkeit doch glatt im „Willehalm“ des Wolfram von Eschenbach verloren. In dieser Chanson de geste, in der Orient und Okzident in zwei epischen Schlachten aufeinandertreffen, wird nämlich Vivianz, ein besonders reiner, tapferer Jüngling, von seinem Gegner mit einer Lanze (samt Amor-Banner) durchbohrt. Unangenehm, fast störend, könnte man meinen, doch Vivianz ist Pragmatiker. Er hat bei Hofe offenbar mal gesehen, wie fahrendes Volk „Emergency Room“ aufführte, denn er weiß genau, was in einem solchen Fall zu tun ist:
der helt die banier do gevienc
und gurtez geweide wider in,
als ob in ninder ader sin
von deheinem strite swaere:
der junge lobebaere
Hurte vürbaz in den strit. (Vv. 25,26-26,1.)
(„Der Held zog die Lanze heraus / und band die Eingeweide hoch, / als ob ihn kein Nerv / vom Kampf schmerzte; / der rühmenswerte Jüngling / stürzte sich wieder in die Schlacht.“)
Und so kämpft Vivianz einfach weiter, bis ihn schließlich doch die Lebenskraft verlässt. Doch keine Angst: Der Jüngling ist so sündenfrei, dass ihm das ewige Leben im Himmelreich gewiss ist. Und weil er eine reine und süße Seele hat, duftet auch seine Wunde nicht nach Blut und Tod, sondern nach Amber, Aloe, Spezerei, Spekulatius... ach, ihr wisst schon.
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