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Mitstreiter: Katrin Emmerich (Tavelrunden-Gast), Telse Kiebelstein, Morgaine Prinz, Nina Röttger, Henrik Winterscheid

 

Als eine kleine Delegation der Tavelrunde im beschaulichen Örtchen Braubach aus dem Nahverkehrs-Dampfross in die Januarkälte stolperte, verhüllte dichter Nebel die Zinnen der Marksburg.

Die Höhenburg mit dem charakteristischen Verputz in Weiß und Rot ist die einzige ihrer Art am Rhein, deren wesentliche Bausubstanz über die Jahrhunderte hinweg nie zerstört wurde. Beinahe unangreifbar thront sie auf der Spitze eines etwa hundertfünfzig Meter hohen Felskegels. Die ersten Dokumente, die die Existenz der Marksburg belegen, werden auf 1238/39 datiert; etwa aus dieser Zeit stammen auch die ältesten Gebäude der Burg: der Bergfried, der romanische Palas und die Kapelle.

Bei der Planung einer neuerlichen Exkursion stand für die tavelrundaere recht schnell fest: Dieses Bauwerk wird gestürmt!

Und so machte sich ein wieder einmal etwas dezimierter Stoßtrupp (Exkursionen im Winter – ah, diz ist guot!) auf, die Marksburg im Namen der Tavelrunde einzunehmen. Viel Angriffsfläche bot das Ziel leider nicht. Wie sollten die Maiden und der Recke also vorgehen? Sie überlegten, die steilen Felswände zu erklimmen, doch niemand wollte sich den Hals brechen. Jemand schlug vor, sich in der Schwachstelle des ansonsten gut gesicherten Rittersaales – der an der Außenwand angebrachten Latrine – auf die Lauer zu legen. Aber leider hatten schon die mittelalterlichen Burgherren mit einem solchen Manöver gerechnet und die Tür der Latrine nicht, wie heute üblich, von innen, sondern von außen mit einem Riegel versehen.

Schließlich entschlossen sich die Helden, an einer Führung teilzunehmen.

Der Aufstieg entlang des Burgenlehrpfades war beschwerlich, aber wunderschön. Ein paar Schneeflocken trudelten durch die klirrend kalte Luft, und immer wieder war zwischen den Baumwipfeln die Burg selbst zu sehen. Das gab Anlass, sich innerhalb der Gruppe schon einmal ein wenig zu bilden:

„Seht ihr dieses kleine, runde Türmchen auf dem eckigen Bergfried? Wisst ihr, wie man so etwas nennt?“

„Wir taufen ihn Albert!“

„...Was?!“

(Anm. d. A.: Türmchen dieser Art werden „Butterfass“ genannt, weil ihre runde Bauweise an ein Butterfass erinnert. Und viel weniger an einen Albert.)

Oben bei der Burg angekommen, waren die tavelrundaere so geschwächt, dass sie sich erst mit einem Glühwein vor dem Souvenir-Shop stärken mussten. Das Gebräu war äußerst smackelich; nicht einmal die heilkundige Königin Isolde aus Gottfrieds Tristan hätte ihnen einen belebenderen Trank servieren können.

Dann wurde es Zeit, dem freundlichen Burgführer in die verborgenen Gefilde der Marksburg zu folgen. Durch das sogenannte Fuchstor gelangte die kleine Gruppe in den Zwinger. Wer dabei an Hunde denkt, ist leider auf dem Holzweg: Der äußerst schmale Weg zwischen dem Fuchstor und dem Schartentor wurde so genannt, weil Angreifer durch den Platzmangel dazu gezwungen wurden, dicht an dicht zu stehen. Das schränkte nicht nur ihre Bewegungsfreiheit im Kampf ein: Vom Schartentor aus begrüßte man die Eingepferchten entweder mit einem Guss aus heißem Pech oder mit großen Steinkugeln, die man den Zwinger hinunter- und durch die feindlichen Reihen rollen ließ. Eine dieser „Pleitenkugeln“ liegt noch heute am Fuchstor. Sie erinnert an mittelalterliche Kämpfe – und ein bisschen an moderne Abenteuerfilme über peitschenschwingende Archäologen.

Anhand der verschiedenen Wappen, die an einer Wand bei der Reitertreppe hängen, lässt sich die Geschichte der Marksburg nachvollziehen. Der erste Burgherr war Gerhard II. von Eppstein. Dieser Vertreter eines bedeutenden Adelsgeschlechts ließ die ersten Elemente der heutigen Burganlage errichten. Bergfried & Co. waren interessanterweise schon damals farbig verputzt: Dass echte Ritterburgen aus nacktem, verwittertem Mauerwerk bestehen müssen, ist eine idealisierte Vorstellung aus der Zeit der Romantik.

Der Eppsteiner musste seine Burg aufgrund finanzieller Probleme bereits fünfzig Jahre später an seinen Schwiegersohn, Eberhard I. aus dem Geschlecht der Katzenelnbogener, abtreten. Diese Familie mit dem aparten Namen galt nicht nur als eine der mächtigsten im ganzen Rheinland; die „Bogener“ waren auch Freunde der Kunst. Walther von der Vogelweide war zwar selbst leider nie auf der Marksburg, widmete dem Grafen von Katzenelnbogen aber ein Gedicht. Dieses zweiteilige Poem zeigt sehr schön, wie die Feder eines Dichters die Taschen eines Fürsten auf ganz subtile Weise zu öffnen vermochte:

(I)

Ich bin dem Bogenære holt                         

gar âne gâbe und âne solt:                          

er ist milte, swie klein ichs geniuze.           

sô nieze in aber ein Pôlân aide ein Riuze: 

daz ist allez âne mînen haz.                        

in bræhte ein meister baz ze mære             

danne tûsent snarrenzære,                          

tæt er den hovewerden baz.                       

(II)

Den dîemant den edelen stein                   

gap mir der schœnsten ritter ein:              

âne bete wart mir diu gâbe sîne.               

jô lob ich niht die schœne nâch dem schîne:                                                      

milter man ist schœne und wol gezogen. 

man sol die inre tugent ûz kêren:             

sô ist daz ûzer lop nâch êren,                  

sam des von Katzenellenbogen.            

 [Ich bin dem Bogner ergeben, ohne daß er mir etwas schenkt und zahlt. Er ist ein freigebiger Mann, wenn ich auch nichts davon habe. Mag wieder so ein Pole oder Russe Nutzen von ihm haben, das ist mir alles durchaus recht. Ihm würde ja ein wahrer Künstler besser einen Namen machen als tausend Geigenkratzer, wenn er hoffähige Leute nur besser behandelte.

Den Diamanten, den edlen Stein, schenkte mir einer der schönsten Ritter; ohne daß ich gebeten hätte, erhielt ich sein Geschenk. Juchhei, ich lobe die Schönheit nicht nach dem Aussehen: ein freigebiger Mann ist schön und gebildet. Man muß die innere Trefflichkeit nach außen wenden, dann wird man seiner ehrenhaften Gesinnung entsprechend auch draußen gerühmt, so wie der von Katzenellenbogen.]

(Walther von der Vogelweide: Die Gedichte Walthers von der Vogelweide. Übersetzt von Hans Böhm [Anm. d. A.: Übersetzung leicht verändert]. Stuttgart 1944. Vv. 80,27-81,6.)

 

Am romanischen Palas und den Geschützen, der kleinen und großen Batterie, vorbei ging es für die tavelrundaere in einen sonnigen Kräutergarten. Die Marksburg bot im Mittelalter vermutlich gerade genug Platz, um einige Heil- und Küchenkräuter anzupflanzen. Trotzdem entschloss man sich in den 1960er Jahren, einen botanischen Garten mit etwa hundertfünfzig verschiedenen Pflanzenarten nach mittelalterlichem Vorbild anzulegen. Seitdem gedeihen dort Gewächse, die schon Hildegard von Bingen in ihren Schriften erwähnte. Und zwar nicht nur Essbares und Hübsches: Zwischen den Rabatten lauern auch die Tollkirsche, der blaue Eisenhut und die mythische Alraune... Eilig richteten die Maiden und der Recke ihre Ohrenschützer und folgten dem Burgführer durch den Weinkeller in die Burgküche.

Dieser große Raum war mit seinem begehbaren Kamin einer der wenigen warmen Orte in der mittelalterlichen Marksburg, weshalb er dem Gesinde auch als Schlafplatz diente. Heutzutage kann die (noch immer voll funktionsfähige) Küche für Veranstaltungen mit Speis und Gaukeley gemietet werden. Kurz waren die Helden versucht, ihr rotes Gold zusammenzuschmeißen, um sich einen wahrhaft stilechten Drehort für die nächsten Folgen der Tavelrunde-Kochshow „Smackelich“ zu sichern. Doch ihr Reichtum war so gering, dass sie im Fluss nach dem verschollenen Rheingold hätten suchen müssen, um den Restbetrag zusammenzubringen. So zogen sie mit Wehmut in den Herzen weiter.

Der Burgführer machte seine Sache gut. Er teilte sein Wissen bereitwillig mit der kleinen Gruppe und ließ sich auch von gewissen studentischen Albernheiten nicht aus der Ruhe bringen. Während er in der Kemenate erklärte, warum man im Mittelalter lieber halb im Sitzen statt im Liegen schlief und was man auf dem Baldachin der Betten so alles „auf die hohe Kante“ legte, vergaßen die tavelrundaere ihr eigentliches Ansinnen, die Marksburg zu erobern. Fasziniert erkundeten sie stattdessen den Rittersaal mit der etwa fünfhundert Jahre alten Tafel und staunten über die Hellebarden in der Rüstkammer. Auch in der – leider in der Epoche der Romantik und daher etwas unauthentisch restaurierten – Kapelle lauschte man gebannt. Eine Folterkammer gab es in der Marksburg übrigens nie; im alten Pferdestall wird jedoch eine Auswahl an Instrumenten für die peinliche Befragung ausgestellt. Auf die Besucher warten dort eine Streckbank, ein Pranger, eine Schandmaske in Form eines Schweinskopfes, mit der man jemanden „zur Sau machen“ konnte, usw. Natürlich nur zu Bildungszwecken...

Nach etwa einer Stunde geleitete der Burgführer den kleinen Stoßtrupp der Tavelrunde wieder durch das Fuchstor hinaus. Zurück an der frischen Winterluft sahen sich die Helden eine Weile zufrieden an: Ihre Köpfe waren mit herrlichen neuen Eindrücken und Wissen gefüllt.

Die Marksburg hat im Lauf der Jahrhunderte Kriege, Weltkriege, einen großen Brand und zwei Erdbeben überstanden. Und auch die tavelrundaere konnten sie einfach nicht bezwingen:

„Wir könnten versuchen, uns noch einmal hineinzuschleichen.“

„Oder wir gehen und trinken noch einen Glühwein. Und kaufen Souvenirs.“

„Oder das.“

„Juhu!“

Auf der Marksburg wartet so viel Sehenswertes und Interessantes, dass sich unmöglich alles in einem einzigen Exkursionsbericht beschreiben lässt. Deshalb empfiehlt die Tavelrunde: Fahrt hin und seht sie Euch selbst an. Es lohnt sich!